Migrationspläne von Merz stoßen auf Widerstand bei Strafvollzugsgewerkschaft
Für die Migrationspläne schlägt Kanzler-Kandidat Merz vor, Ausreisepflichtige in Haft zu nehmen. Tausende Menschen würde das betreffen. Warum der Chef der Strafvollzugsgewerkschaft den Plänen eine deutliche Abfuhr erteilt.
Der Pläne von Union und Kanzlerkandidat Friedrich Merz kurz vor der Bundestagswahl haben es in sich: Unter anderem dauerhafte Kontrollen an den Außengrenzen und die Zurückweisung von Asylbewerbern. Rechtlich sind die Pläne umstritten, politisch wegen der "Brandmauer" zur AfD heikel. Aber sind sie zumindest praktisch möglich?
Mindestens bei einem Punkt dürften Zweifel aufkommen: "Unmittelbar Ausreisepflichtige" sollen in Abschiebegewahrsam oder Abschiebehaft genommen werden, bis sie abgeschoben werden, heißt es von der Union. Gemeint sind dabei jene Menschen, die aufgefordert wurden, das Land zu verlassen und die auch keinen Duldungstitel mehr haben.
Merz selbst spricht von mehr als 40.000 vollziehbar Ausreisepflichtigen, rund 17.500 sind abgelehnte Asylbewerber ohne Duldung, wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken zeigt. Männer, Frauen Kinder. Ob sie alle in Haft sollen, lässt die Union auf Anfrage unbeantwortet.
Doch könnten überhaupt Tausende ins Gefängnis? "Das wäre eine Katastrophe", sagt René Müller. Dem Vorsitzenden des Bundes der Strafvollzugsbediensteten treiben die Unions-Forderungen Schweißperlen auf die Stirn. Denn: Wo sollen die Menschen hin?
In den normalen Gefängnissen sind nach Angaben des Statistischen Bundesamts aktuell rund 44.000 Menschen untergebracht. Theoretisch gilt ohnehin ein Trennungsgebot, die Abschiebehaft soll nicht im normalen Justizvollzug stattfinden. Praktisch ist das jedoch längst der Fall. "Die Gefängnisse, gerade in den Großstädten, sind schon überfüllt", sagt Müller.
Praktisch würden die Merz-Pläne auf Doppelbelegungen hinauslaufen, die rechtlich gar nicht zulässig sind, ergänzt er. Die Union selbst fordert mehr Abschiebehaftplätze. Zehn separate Abschiebe-Gefängnisse gibt es in Deutschland. Platz für mehrere Tausend gibt es dort nicht. Etwa 800 Abschiebehaft-Plätze gibt es derzeit in Deutschland.
Die Union will, dass der Bund alle verfügbaren Liegenschaften zur Verfügung stellt. Eine Nachfrage unserer Redaktion bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) ergab: Immerhin 93 Liegenschaften bundesweit bietet die BImA derzeit Kommunen und Landkreisen zur Unterbringung von Flüchtlingen an. Für die Merz-Pläne reicht das nicht. Und die BImA betont, dass die 93 Liegenschaften nur der "Unterbringung von Asylbegehrenden und Flüchtlingen" dient. Haft oder Arrest seien derzeit nicht vorgesehen.
Doch selbst wenn dort künftig tausende Ausreisepflichtige unterkommen könnten - wer soll auf sie aufpassen? Die privaten Sicherheitsfirmen sind skeptisch. Weder könne man von jetzt auf gleich zusätzliches Personal mit entsprechender Eignung rekrutieren, noch dürften private Sicherheitsleute hoheitliche Aufgaben übernehmen, heißt es vom Bundesverband der Sicherheitswirtschaft auf Anfrage.
Heißt: Selbst wenn Privatfirmen ihre Mitarbeiter für die Bewachung von noch zu findenden Arrest- und Haftanstalten abstellen, dürften sie bei einem Fluchtversuch niemanden festhalten. Auch die Frage, wie das Personalproblem gelöst werden soll, ließ die Union unbeantwortet.
"Ich habe die große Befürchtung, dass das wieder mal auf den Justizvollzug abgewälzt wird", sagt René Müller. "In Niedersachsen und Bayern müssen jetzt schon Kollegen für die Abschiebe-Gefängnisse abgestellt werden. Und das nimmt wahrscheinlich zu. Das geht dann auf Kosten der Sicherheit des Personals in den Haftanstalten". Denn jeder Vollzugsbeamte, der im Abschiebe-Gefängnis eingesetzt wird, fehlt auf den Stationen der Gefängnisse.
Auch wenn die Union von ihren Plänen, tausende Ausreisepflichtige in Haft zu stecken, wieder abrücken könnte: "Selbst die Sofortmaßnahmen wären eine nicht zu stemmende Belastung", sagt Müller.
Damit meint er die Unionspläne, kompromisslos bei straffällig gewordenen Asylbewerbern zu agieren. Ein Vorschlag, dem auch die Kommunen folgen. "Bei straffällig gewordenen abgelehnten Asylbewerbern oder Gefährdern sollte sichergestellt werden, dass diese sich der Rückführung nicht entziehen oder untertauchen", sagt André Berghegger unserer Redaktion. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes fordert: "Diese Personen in Gewahrsam zu nehmen, darf nicht an begrenzten Kapazitäten oder fehlender Abstimmung zwischen den Behörden scheitern." Insgesamt müsse es gelingen, "ein Signal zu setzen, dass die Rückführung von vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerbern koordiniert und effizient erfolgt".
Doch das beträfe dann auch Ausreisepflichtige, die sich wegen niedrigschwelliger Delikte, wie permanenten Schwarzfahren oder Ladendiebstahl, strafbar gemacht haben. Diese Menschen müssten dann auch ins Gefängnis, sagt Strafvollzugsgewerkschafter René Müller.
"Es ist in Deutschland üblich, dass der Justizvollzug nicht mitgedacht wird. Wir sind immer nur die Ausputzer", meint Müller. Der Frust des Gefängnisgewerkschafters und die puren Zahlen zeigen: Wirklich umsetzbar ist der Vorschlag der Union zunächst nicht. Selbst wenn es ein Milliardenprogramm für Dutzende neue Gefängnisse geben würde, braucht es Zeit und Personal.
Für einen schnellen Politikwechsel fehlt beides. Also nur Symbolpolitik? Laut André Berghegger vom Städte und Gemeindebund braucht es solche klaren Ansagen: "Insgesamt muss es gelingen, ein Signal zu setzen, dass die Rückführung von vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerbern koordiniert und effizient erfolgt", sagt er.